Überläufer, Empörte und die Mehrheit

Niedersachsen Überläufer Mehrheit

Niedersächsische Landesregierung ohne Mehrheit

Am vergangenen Freitag hat die niedersächsische Landtagsabgeordnete Elke Twesten angekündigt von den Grünen zur CDU zu wechseln. Auf den ersten Blick kein ungewöhnlicher Vorgang. In diesem Fall hat der Wechsel allerdings etwas Besonderes: Die Machtverhältnisse verschieben sich. Bislang hatte Rot-Grün eine Mehrheit von nur einer Stimme. Mit dem Überlauf ist diese Mehrheit weg.

Empörung bei Rot-Grün

Die Reaktionen von SPD und Grünen ließen nicht lange auf sich warten. Spitzenpolitiker beider Lager sprachen von einer Intrige, von Verrat am Wähler, von Verrat an Rot-Grün, von Stimmenkauf, von verletzter Eitelkeit.

Mehrheit und Wählerwille

Dass eine Mehrheit von einer Stimme immer ein gewisses Risiko mit sich bringt, liegt auf der Hand. Sowohl SPD als auch Grüne kannten das Risiko seinerzeit, als sie sich bewusst für diese Koalition entschieden haben.

Wenn jetzt allerdings von Verrat am Wähler gesprochen wird, ist das scheinheilig. SPD und Grüne haben bei der letzten Landtagswahl zwar rechnerisch die Mehrheit (SPD: 32,6%, Grüne: 13,7% = 46,3%) vor CDU und FDP (CDU: 36,0%, FDP: 9,9% = 45,9%) erreicht. Sie beträgt aber nur 0,4%! Des Weiteren ist nicht die SPD die Partei gewesen, die die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, es war die CDU mit einem Vorsprung von über 3%. Eine SPD-geführte Regierung ist also mitnichten der Wille des Wählers gewesen!

Das freie Mandat

Frau Twesten ist über die Landesliste der Grünen in den Landtag gekommen. Sie ist nicht direkt gewählt worden, sondern hat ihr Mandat den Grünen bzw. den Wählern der Grünen zu verdanken. Aus dieser Sicht betrachtet, hat der Wechsel zur CDU-Fraktion und die Mitnahme des Mandats ein „Geschmäckle“.

Allerdings übt man als Landtagsabgeordneter ein freies und kein imperatives Mandat aus. Der Abgeordnete ist allen Bürgern verpflichtet und nicht nur seinen Wählern bzw. seiner Partei. Er ist an keine Weisung gebunden, sondern nur seinem Gewissen unterworfen. Das Mandat ist also an die Person gebunden und „gehört“ nicht einer Partei. Forderungen aus dem rot-grünen Lager, Frau Twesten solle ihr Mandat an die Grünen zurückgeben, sind insofern eine gewöhnungsbedürftige Interpretation des freien Mandats.

Stimmenkauf und persönliche Befindlichkeiten

Vertreter von SPD und Grünen werfen Frau Twesten vor, persönliche Befindlichkeiten seien der wahre Grund für den Überlauf gewesen. Bei der Nominierung des Spitzenkandidaten für die anstehende Landtagswahl im Januar 2018 musste sie vor Kurzem eine Niederlage einstecken. Die Chancen auf einen aussichtsreichen Listenplatz waren wohl auch nicht mehr sonderlich groß. Insofern stellen sich die niedersächsischen Grünen nun die Frage, ob es vielleicht Versprechungen seitens der CDU gab, die Frau Twesten dazu veranlasst haben, die Seiten zu wechseln.

Sollte es tatsächlich ein Angebot der CDU gegeben haben, so wird es sich wohl nicht um ein Landtags- oder Bundestagsmandat gehandelt haben. Die Listen für beide Wahlen standen bei der CDU schon vor dem Wechsel Twestens endgültig fest. Aber unabhängig davon, ob es ggf. anderweitige Offerten gab, ist es doch kein ungewöhnlicher Vorgang, wenn jemand, der für sich keine Perspektive mehr in seinem derzeitigen Job sieht, sich nach Alternativen umschaut. Wenn es dann jemanden gibt, der an einer Zusammenarbeit interessiert ist, wo ist das Problem? Dies ist zumindest außerhalb der Politik ein ganz normaler Vorgang.

War noch was?

Im thüringischen Landtag hat es im vergangenen Jahr übrigens auch einen Fraktionswechsel eines Abgeordneten gegeben. Seinerzeit wechselte der Abgeordnete Oskar Helmerich von der AfD-Fraktion zur SPD-Fraktion. Davon profitiert hat die rot-rot-grüne Landesregierung. Sie hatte vor dem Übertritt Helmerichs eine Mehrheit von einer Stimme. Der Aufschrei damals war… nicht wahrzunehmen!